Mein Sohn hat einen Schläfenbeinbruch und ich bin Schuld daran. Was sich wirklich schrecklich anhört, ist tatsächlich die Realität. Eigentlich weiß ich, dass es nicht meine Schuld ist, aber dennoch fühle ich mich so. Kinder fallen tagtäglich, auch auf ihren Kopf. 100 mal fallen sie und 100 mal ist es nur eine Beule oder ein blauer Fleck. Und das eine Mal von Hunderten, geht es schief, wie in unserem Fall.
Es war Abends um 20:30 Uhr. Eigentlich sollten die Kinder schon im Bett sein aber sie hatten noch so schön Bücher angesehen. Um das Zubettgehen etwas einfacher zu gestalten, wollte ich mit unserem Kleinen noch kurz Fangen spielen. Er mit seinem Kuscheltuch im Arm raus aus seinem Zimmer Richtung Wohnzimmer und ich hinterher. Und da war er. Der Schlag mit dem Kopf auf dem Boden. In dem einen Moment noch das herzliche laute Lachen und im Nächsten dann der gellende Schrei und das herzzerreissende Weinen. Wir waren sofort da und haben ihn versucht zu trösten. Gerade als wir dachten, er fängt sich, kam da Blut aus seinem linken Ohr, das mittlerweile geschwollen und dunkelrot war.
Und plötzlich kam Blut aus seinem Ohr
Das war der Punkt an dem das erste mal die Panik bei uns hochkam. Das konnte einfach nichts Gutes bedeuten. Also riefen wir sofort den Notarzt an. Dieser meinte noch auf dem Weg zu uns, dass wir ihn nicht bewegen sollten. Der nächste Panikanfall kam. Natürlich hatten wir ihn bewegt, weil wir versuchen ihn zu trösten. Panisch bat ich ihn die Beine zu bewegen. Das klappte Gott sei Dank. Innerhalb 5 Minuten waren die Rettungssanitäter bei uns. Kurz ins Ohr gesehen und Fieber gemessen und ab ging es im Rettungswagen Richtung Krankenhaus, das hier in Seoul nur 5 Minuten entfernt ist. Mein Mann und meine Tochter kamen im Auto hinterher.
Dort angekommen, wurde er gleich untersucht. In die Augen geleuchtet, ins Ohr geschaut und der Kopf angesehen. Die gute Nachricht war zumindest, dass das Blut nicht aus dem inneren Ohr kam, sondern wohl aus dem äußeren Bereich. Über/ hinter dem Ohr war aber eine Schwellung und schon alleine deswegen musste ein MRT und ein Röntgenbild gemacht werden.
Währenddessen war ich durchgehend mit meinem Mann und meiner Tochter in Kontakt. Es gab nämlich noch ein weiteres Problem. Aufgrund von Corona dürfen maximal 2 Begleitpersonen mit in das Krankenhaus hinein. Leider gab es auch keine Ausnahmen. Somit verbrachten beide die Zeit in der Krankenhauslobby und warteten auf uns.
Als nächstes sollten MRT und Röntgenbild gemacht werden. Leider blieb unser Kleiner mit seinen 3 Jahren nicht ruhig genug liegen. Also deutete man uns an, dass man ihn erst zum “schlafen” bekommen musste. Weitere 15 Minuten später kam eine Krankenschwester und meinte, dass er “Schlaf-Tropfen” bekommen würde. Also warteten wir weiter. Mittlerweile war es 22 Uhr und wir waren schon 1 Stunde dort und meine Nerven hatten sich mittlerweile etwas beruhigt. Der kleine Mann schlief vor Erschöpfung dann irgendwann ein. Immerhin war das perfektes Timing und er konnte geröntgt und das MRT gemacht werden. Kurz danach war er auch wieder wach und wollte mit seinem Auto spielen. Ein halbwegs gutes Zeichen, dachte ich. Also ging es wieder ans warten.
“Having a child is like having your heart walk around outside your body.”
-unnkown-
Dann kam eine andere Krankenschwester und meinte, wir sollen noch zu einem anderen Arzt. Bei dem Satz rutschte mir mein Herz erneut in die Hose. Das konnte einfach nichts gutes bedeuten. Wäre alles in Ordnung, würde man uns das doch einfach sagen, oder nicht? Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Die Zeit im Aufzug nach oben in ein anderes Stockwerk fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Oben angekommen, empfing man uns und bekamen sofort Fragen gestellt: Sind Ihnen abnormale Mimiken im Gesicht Ihres Kindes aufgefallen? Haben Sie das Gefühl, dass er auf der linken Seite schlechter hört? Ich verneinte. Meine Gedanken kreisten. Dann meinte er, dass er kein Spezialist im Bereich des Gehirnes wäre, aber auf dem MRT sah man einen Schläfenbeinbruch. Ich musste schlucken. Weiter meinte er, dass bei diesem Bruch ein Gehörverlust oder gar Lähmungen im Gesichtsbereich auftreten können, unter anderem würde man das am Mundwinkel oder Auge sehen. Und zwar dauerhaft. Da war er wieder. Dieser gefühlte Schlag in die Magengrube. Die Tränen stiegen mir hoch.
Meine Gedanken kreisten, die Tränen stiegen mir hoch.
Anzeichen wären wohl, dass in diesem Falle das Auge nicht mehr geschlossen und der Mundwinkel nicht mehr hochgezogen werden kann. Zu meiner Erleichterung ging beides noch bestens. Mit der Anweisung, kein Kindergarten und antibiotische Tropfen für die Verletzung im Ohr, ging es wieder nach unten ins Erdgeschoss. Nach weiterem Warten kam ein anderer Arzt zu uns. Er war der Spezialist für Gehirn- und Schädelbereich. Er nahm sich nochmal etwas Zeit und erklärte mir die Bilder nochmal. Zu meiner Erleichterung sah man auf den Bildern keine Blutung und keine Gehirnerschütterung. Aber der Bruch war deutlich zu sehen.
Er klärte mich auf und meinte, wir können nach Hause, aber ich muss ihn beobachten. Im Falle von Anzeichen einer Gehirnerschütterung oder anderem abnormalen Verhalten sollten wir sofort zurückkommen. Er klärte mich auch nochmal über die möglichen Folgen einer Schläfenbeinfraktur auf. Aber immerhin konnte er mich etwas beruhigen und meinte beim Anblick des kleinen Mannes, dass er sonst in Ordnung zu sein schien. Aber es gäbe natürlich keine Garantie.
Mittlerweile war es Mitternacht und wir sollten noch auf den Entlassungsbrief warten. Da kamen sie hoch die Tränen. Ich versuchte mich noch zurückzuhalten, da wir nicht die einzigen im Warteraum waren. Langsam aber sicher drangen die Worte nochmal durch, was hätte passieren können. All die What if´s. Als wir um 1 Uhr morgens endlich nach Hause durften, brachen zuhause alle Dämme. Da waren sie, die Schuldgefühle.
Die Schuldgefühle einer Mutter
Warum habe ich ihn nicht pünktlich um 20:00 Uhr ins Bett gesteckt? Warum wollte ich noch Fangen spielen? Warum habe ich ihm sein Kuscheltuch nicht vorher weggenommen? Warum war ich nicht rechtzeitig da? Warum konnte ich ihn nicht davor bewahren? Warum, warum, warum,… Dieser Gedanke, ich könnte Schuld daran gehabt haben, dass mein Sohn durch diesen Schläfenbeinbruch sein Leben lang eine bleibende Einschränkung/ Behinderung haben könnte, machte mich wahnsinnig. Es macht mich noch heute wahnsinnig. Ich weiß, dass es nicht wirklich meine Schuld war, aber mein Handeln führte zu diesem schlimmen Ereignis. Ich könnte es mir nie verzeihen. Für mein Kind würde ich alles geben, hauptsache es geht ihm gut. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen, aber die “What ifs” bleiben und werden noch eine Zeit lang schmerzen. Aber es wird besser werden. Irgendwann.
Immerhin hatten wir Glück im Unglück und es geht ihm wieder gut. Passt auf euch und eure Kinder auf…
Claudia Schweiger says
November 9, 2020 at 2:24 amOje, das sind Momente im Leben einer Mutter,die einen verrückt machen können vor Angst. Kaum eine Mutter, die dieses Gefühl nicht kennt. Ihr habt so toll und schnell reagiert und es wird bestimmt wieder alles gut. Wenn man Kinder hat will man sie gerne vor allem beschützen, doch man kann es nicht. Du bist eine wunderbare Mama und Deine Kinder spüren das auch!!!
Ich wünsche Euch von Herzen alles, alles Liebe und Gute und dass Ihr alle Hilfe habt die Ihr braucht.
Liebe Grüße aus Niederbayern von Deiner Tante Claudia.