Mamasein ist etwas wundervolles und wirklich traumhaftes. Jemand, der nie Mutter war, wird das nicht nachvollziehen können. Meistens ist das Mamasein mit positivem verbunden. Das erste lächeln, die ersten Worte, die ersten Schritte. All die Meilensteine, die durch nichts ersetzbar sind. Ich könnte mir kein Leben mehr ohne Kinder vorstellen, auch wenn sie einem ab und an mal den letzten Nerv rauben.
Allerdings ist das Mamasein manchmal auch mit weniger schönen, traurigen Erfahrungen verbunden. Das musste ich auch schon erfahren, als ich meine Tochter fast in der 23. Schwangerschaftswoche verloren hätte. Wir hatten damals riesiges Glück im Unglück. Die Ärzte nahmen mich ernst und reagierten schnell und vor allem richtig. Allerdings hören nicht alle Ärzte auf das Bauchgefühl einer werdenden Mutter. Das musste leider Virinja vom Blogh Oh Sternenstaub erfahren. Vermutlich hat das dazu geführt, dass sie in der 30. Schwangerschaftswoche durch eine stille Geburt ihre Tochter Charlotte zu den Sternen ziehen lassen musste. Den Grund dafür wusste erst niemand, da sie gesund zu sein schien.
Ich habe Virinja auf der Plattform Instagram (ihr findet sie dort unter @oh.sternenstaub) kennengelernt. Als ich die Geschichte von Charlotte hörte, kamen auch bei mir wieder Erinnerungen hoch. Ich habe sie gefragt, ob sie ihre Geschichte bei mir am Blog mit anderen Müttern und Sternenkindmamas teilen möchte. Über ihre Zusage habe ich mich sehr gefreut. Danke dir Virinja für dein Vertrauen.
Virinja, wie alt warst du, als du mit Charlotte schwanger wurdest?
Ich war 24 Jahre alt.
Soweit ich erfahren habe, hattest du durch die Schwangerschaft durchgehend ein ungutes Gefühl. Wann begann das und hatte das einen bestimmten Grund?
Wie habt ihr erfahren, dass das Herz nicht mehr schlägt und hattest du eine Vorahnung?
Einige Tage bevor Charlotte verstarb fing es an, dass ich mich körperlich sehr schlecht fühlte. Ich dachte, vielleicht bekomme ich eine Grippe, oder aber der Kurztrip mit meinem Mann (der damals noch mein Freund war) nach Wien war einfach zu viel. Ich schlief fiel und versuchte mich auszuruhen. Mein Umfeld sagte mir, das sei ganz normal, ab der 30.ssw wird es eben beschwerlicher – aber ich sei ja schließlich nur schwanger und nicht krank. Also dachte ich, das gehört halt so. Ich weiß es noch wie heute, am Dienstag morgen bin ich aufgewacht und fühlte mich einfach nur furchtbar. Ich rief in der Arztpraxis an und fragte ob ich bitte vorbeikommen darf. Was mit mir los war – keine Ahnung. Ich war mir sicher, ich habe eine Blasenentzündung. Heute, fast fünf Jahre und einer weiteren Schwangerschaft später weiß ich, das war keine Blasenentzündung, das war die Fruchtblase. Beim Muck, meinem neun Monate alten Sohn, war das im April haargenau das gleiche. Nur eben schon zum Ende der Schwangerschaft! Tja. Und man hörte mir zu. Damals, damals bei Charlotte nicht. Ich war nur das junge Ding, welches viel zu panisch war. In der Arztpraxis an diesem Dienstagmorgen, kontrollierte man den Urin, teilte das Ergebnis dem Arzt mit – es sei alles in Ordnung. Nach einigem bitten, schauten wir kurz auf Charlotte. Kein Dopplerultraschall, welcher die Gefäße und die Versorgung sichtbar gemacht hätten. Kein Ctg. Ok. Der Arzt sagte, alles sei okay, also ist es sicher auch so. Ich versuchte mich abzulenken und nahm zu Hause nochmals ein warmes Bad. Charlotte hat wild getreten, ich betrachtete voller Freude den Bauch. Als ich aus der Wanne stieg, wurde mir ganz schummrig. Also schlenderte ich ins Bett.
Um 21.33 Uhr wurde ich nochmals wach, schleppte mich auf die Toilette. Ich fühlte mich so seltsam. Irgendwas in mir sagte mir, fahr in die Klinik. In dieser Nacht war ich alleine. Ich wollte nicht wieder „das panische junge Ding sein” – also beschloss ich das Gedankenkarusell auszuschalten und wieder ins Bett zu gehen. Um 9 Uhr morgens bin ich aufgewacht. Wer mich kennt weiß, so lange schlafe ich nie. Es war seltsam. Ich wurde wach, legte wie jeden Morgen die Hand auf den Bauch und begrüßte meine Tochter. Seltsam, sie schien noch zu schlafen, gar kein Stupser wie sonst jeden Morgen. Also lief ich den kalten Flur entlang zur Küche. Ich öffnete die Kühlschranktüre und erstarrte für eine Sekunde. Ich hielt inne. MEIN BAUCH IST LEER. Ich spürte es. Ich griff zum Nutellaglas, öffnete die Schublade mit dem Besteck, zog einen Löffel heraus und stopfte Unmengen Nutella in mich hinein. Süsskram wird sie wecken. Aber nein. Der Bauch blieb regungslos. Ich begann Unmengen Wasser zu trinken. Da bewegte sie sich immer. Heute nicht. Ich wusste ganz genau was passiert war. Im Inneren war ich ganz klar. Nach außen war ich panisch. Ich rüttelte den Bauch. Es tat sich einfach nichts.
Ein paar Minuten später griff ich zum Handy. Ich rief meine Hebamme an und schilderte ihr alles. Sie sagte, wenn es mich beruhigt, soll ich einfach kurz vorbeikommen. Wir können ja schnell die Herztöne hören. Alles klar. In aller Ruhe schminkte ich mich. Verpackte meinen Bauch mit meinen Lieblingskleidungsstücken. Einem Jeansrock, den ich nur noch mit Haargummi um den Knopf schließen konnte und ein blau-weißes enges Shirt. Es war ein schöner, warmer Frühlingstag. Ich setzte mich ins Auto und fuhr zur Hebamme. Sie begrüßte mich liebevoll. Als ich auf der liege lag, summte schon das Gerät zum Abhören der Herztöne. Es summte lauter und quietsche als sie sanft über meinen Bauch fuhr. „Da versteckt sich aber heute jemand!” sagte sie mit eingefrorenem Blick. Sie blickte mich nicht an. Ich sie ebenfalls nicht. Ich wusste, Charlotte ist nicht mehr da. Sie suchte und suchte. Kein erlösendes pochen. Es rauschte. Mehr nicht. Meine Hebamme aber sprach nicht aus, was wir längst wussten. Stattdessen schickte sie mich weiter in die nächstgelegene Klinik.
Auf dem Weg dorthin rief ich meinen Mann an. Ruhig, sachlich und irgendwie völlig fern von dieser Welt erzählte ich von den Geschehnissen. Mein Mann hatte gerade eine Vorlesung an der Uni. Er sagte mir, er lässt alles stehen und liegen und setzt sich in den Zug! „Ach Quatsch das musst du doch nicht. Es ist schon alles gut.” Wir redeten ehrlich gesagt nicht viel. Irgendwie war uns beiden alles klar. Das ist so eine Situation, die ohne viele Worte auskommt, obwohl man irgendwie doch gar nichts weiß. Mein Mann benachrichtige seine Schwester, er wusste, dass diese ganz in der Nähe von mir ist und Gott sei dank fing diese mich noch am Krankenhauseingang ab. Wortlos liefen wir in den Kreißsaal. Eine nette Hebamme begrüsste uns. „Manchmal liegen die kleinen einfach blöd und man braucht bessere Geräte!” …aber auch ihr vermeintlich besseres Gerät brachte uns nicht den erlösenden Herzschlag. Ich wurde in ein anderes Zimmer geschickt. Eine junge, sehr unerfahrene Ärztin kam, schmierte Gel auf meinen Bauch und setzte den Ultraschallknopf auf meine Haut. Ihr Blick erstarrte am Monitor. „Das Herz. Es schlägt nicht mehr.” Sie blickte zu Boden. Sie blickte mich nicht an. Und ich schrie und riss alles von mir. Dann schwieg ich. Alles was dann passierte, geschah in Trance. Ich weiß, dass meine Mama kam. Dass meine mir so wichtige, sowas wie Schwester, plötzlich im Raum stand. Und ein Arzt. Er erzählte mir etwas übers Einleiten. Über Wehen. Und über Beerdigungen. Ich weiß noch, wie ich die ganze Zeit das selbe stammelte. „Wo ist Stephan? Ich sage nichts ohne Stephan.” Man schickte mich auf ein Zimmer. Ein kleines, hässliches Kämmerlein, weit weg von allen anderen Schwangeren und Müttern.
»Ein Song, geschrieben von Coby Grant, für ein still geborenes Baby«
Du wurdest ja eingeleitet und hast Charlotte per natürlicher Geburt auf die Welt gebracht. Wie hast du die Geburt empfunden?
Sofort nach der ersten Tablette oder sagen wir, wenige Minuten nach der ersten Tablette, hatte ich Wehen. Richtige Wehen. Schmerzhafte Wehen. Ich wusste nicht, was schlimmer war, das Gefühl dieser absolut zerschmetternden Wehen oder aber das, dass mein Herz vor lauter Trauer auseinandergerissen wird. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Ich wusste, wenn ich sie auf die Welt bringe, ist die weg. Weg von mir. Dann sind wir nicht mehr eins. Ich wollte nicht. So kam es wohl auch, dass wir drei Tage in den Wehen lagen. Erst nach dem eine wundervolle Ärztin mich in völlige Trance setzte, ich einige Stunden Schlaf fand und mein Kopf somit ein wenig Pausenzeit erhielt, tat sich etwas und Charlotte machte sich auf den Weg. Bei jeder Presswehe weinte ich, weinte ich um alles was ich jetzt verlor. Meine Zukunft mit Baby. Unsere Zukunft als kleine Familie. Als sie da war, war es einfach nur absurd. Der Körper weiß ja nicht, dass das Kind nicht leben wird, also stellt er sich vollkommen aufs Mama sein ein. Meine Mamagefühle waren unfassbar stark. Ich war plötzlich so glücklich. Ich hielt sie in meinen Armen, weinte und war trotzdem so selig. Mein Baby! Sie war ja mein Baby! Charlotte blieb die ganze restliche Nacht und den Vormittag bei uns im Zimmer. Gebettet in einem kleinen Moseskörbchen und ihrer Kuscheldecke. Einer roten, gestrickten Decke mit weißen Blumen darauf. Meine Oma hatte sie für sie gemacht. Am Saum sind bis heute zwei kleine Blutflecken zu sehen. Sie zu waschen wäre undenkbar.
Konntet ihr Abschied nehmen und wie habt ihr es geschafft diese Erfahrung zu verarbeiten und eure Beziehung aufrecht zu erhalten?
Oben habe ich ja bereits erzählt, wie die nächsten Stunden nach der Geburt abliefen. Ich hätte Charlotte auch so wie sie war, in ihrem Moseskörbchen mit nach Hause genommen. Mir war völlig unklar weshalb ich das nicht tun kann… irgendwann überzeugte mich mein Mann, dass wir sie nun den Schwestern geben werden. Wir liefen über die Entbindungsstation – über dem Körbchen und dem schönen Köpfchen unserer Tochter ein Handtuch. Dass auch bloß niemand sah, was wir dort hielten. Ein totes Baby. Ich hasste es, ich hasste es schon damals. Alles wurde verschleiert, keiner sprach mit uns. Wir waren wie Außerirdische auf einer komplett anderen Welt… an der Tür zum Kreißsaal küsste ich Charlotte ein letztes Mal auf die Stirn. Ich streichelte über ihre zarte Hand. Sagte ihr, wie sehr ich sie doch liebte, wie sehr ich sie bei mir haben möchte… und dann riss die Hebamme uns das Körbchen aus der Hand. Die Tür fiel ins Schloss und da standen wir.
Ich weiß heute, dass der Umgang in der Klinik, in der wir Charlotte zur Welt brachten, völlig falsch war. Hätte ich nicht darauf bestanden Charlotte zu fotografieren, sie mit aufs Zimmer zu nehmen, sie zu halten und, und, und. Man hätte uns das nicht vorgeschlagen. Man hätte uns das alles verwehrt. Und das, das ist das Wichtigste überhaupt. Die Eltern in ihrer Trauer zu begleiten. Wir standen einfach da. Die Tür knackte und alles schien vorbei. Dabei fing dann alles erst an. Ich stürzte in ein schreckliches Loch. Tief. Keiner kannte sich aus. Keiner wusste was man mir sagen sollte. Keiner wollte die Trauer sehen. Auf der Straße wechselte man die Straßenseite – weil, naja was spricht man mit einer Frau die über ihr totes Kind erzählt. Die Zeit war schrecklich. Ich wusste weder, wer ich war, noch, wo ich war.
Erst der radikale Schritt, einem Wohnungs- und Ortswechsel, brachte Erleichterung in unser Leben. Und eine Therapeutin, die wie ein Engel einfach so in unser Leben kam. Engel ist ein ziemlich kitschiges Wort – aber ich wüsste nicht, wie ich es besser beschreiben könnte. Was kann man tun als Eltern, die am Grab ihres Kindes stehen müssen, anstatt in das Bettchen schauen zu können – es bleibt nicht viel. Die Welt zerbricht. So dramatisch es klingt, so ist es eben auch. Da ist die eigene Trauer und eben die des Partners. Und meist sind diese so unterschiedlich – da hilft nichts, nur reden. Reden, reden und reden. Für mich war immer klar – ich möchte das, ich möchte mit meinem Mann zusammenbleiben – auch wenn uns die Trauer fast auffrass. Es war anstrengend. Die Zeit war einfach hart. Aber sie hat uns eben auch zu dem gemacht was wir heute sind … dafür bin ich sehr dankbar! Und vor allem, stolz! Ich bin unheimlich stolz auf das was wir für uns geschaffen haben und möchte diesen besonderen Mann in meinem Leben nie wieder missen!
Würdest du jedem Elternpaar eines Sternenkindes eine Betreuung durch einen Therapeuten empfehlen?
Ja!
Wie hat dein Umfeld reagiert? Hattet ihr eher Unterstützung oder Abwendung erfahren?
Beides. Es ist für Außenstehende einfach unvorstellbar. Meine Art und Weise, wie ich damit umgehe erschrickt einige – gerade anfangs hat das viele Menschen von uns gestoßen. Aber heute weiß ich – dann waren eben genau die auch nicht die Menschen, die wichtig für uns sind. Von solchen Menschen distanziere ich mich heute bewusst. Ich weiß, dass die meisten aus Unsicherheit seltsam reagieren – aber es ist nun einmal unsere Geschichte und ich werde nicht aufhören von Charlotte als Teil unserer Familie zu sprechen! Denn sie war da und ist da! Immer!
Wann habt ihr euch für ein Regenbogenbaby entschieden und wie lange hat es gedauert?
Du hattest ja dann nach der Fehlgeburt bevor euer Sohn auf die Welt kam. Dieser war auch eine Frühgeburt. Was war passiert, wie hast du es bemerkt, dass scheinbar wieder etwas nicht stimmt?
Ich hatte oben schon etwas dazu geschrieben. Bemerkt wurde es wieder im Ultraschall und wieder mit dem Satz „kein Herzschlag mehr” – eine scheiss Zeit. Anders kann man das nicht sagen … gemerkt oder gespürt habe ich das schon – ich wusste, das ist viel zu früh. Meine Seele und mein Körper waren lange nicht im Reinen… nicht bereit für ein weiteres Kind oder vielmehr für eine weitere Schwangerschaft.
Gibt es etwas, das du anderen Mamas ans Herze legen willst, denen eine stille Geburt bevorsteht? Was würdest du anderen Schwangern mit auf den Weg geben?
Trauer ist ein Prozess, Trauer baucht Zeit. Lasst es zu! Ich hätte mir mehr Selbstbestimmung im Kreißsaal gewünscht – ich hätte gerne mehr Gefühl gespürt. Stattdessen war ich eben die, die ein totes Kind im Bauch hat. Es braucht so viel Zeit und Raum ein Kind zur Welt zu bringen – natürlich dann noch viel mehr, wenn man ein totes Kind zur Welt bringen muss.
Ich kann euch nur ans Herz legen – informiert euch, ob es im Krankenhaus oder in der Nähe eine Fotografin für Sternenkinder gibt! Bilder eures Kindes sind irgendwann die einzige sichtbare Erinnerung!!!!
Mir ist es wichtig, dass hier auf meinem Münchner Mamablog auch Themen angesprochen werden, die tiefer unter die Haut gehen. Die Themen Sternenkind und Stille Geburt gehören noch immer eher in die Sparte Tabuthema, die eigentlich keine sein sollten.. Sehr wichtige Themen, wie ich finde. Laut einer Studie, die ich gefunden habe, wurden im Jahr 2011 tatsächlich 2.387 Kinder in Deutschland still geboren. Das enspricht in etwa zwei bis drei pro 1.000 Geburten. Das finde ich nicht wenig. Diese Eltern sollen auch ein Recht haben über deren Kinder sprechen zu dürfen. Auch wenn Sternenkinder nicht physisch anwesend sind, sind sie doch immer ein Teil einer Familie.
Passend zu diesem Thema habe ich erst vor kurzem ein Interview einer Sternenkind Fotografin hochgeladen. Den ganzen Beitrag findet ihr hier.
-photo credits Oh Sternenstaub–
Leave a Reply